Samstag, Dezember 23, 2006

Die heilige Hildegard von Bingen


Hildegard, geboren 1098 aus ritterlichem Geschlechte auf dem Schloß Böckelheim in der damaligen Grafschaft Sponheim in der Pfalz, wurde schon in früher Jugend zum geistlichen Stande bestimmt, weil sie, schwächlich und kränklich, für die Welt keinen Sinn zu haben schien und von der lebensfrohen Art und Weise anderer Mädchen desselben Alters auffallend abwich. Denn schon als Kind von drei Jahren ward sie von solcher Fülle eines inneren Lichtes durchgossen, daß ihre Seele bis in das Innerste erzitterte. Sie verstand aber nichts davon und deutete nur durch kindische Worte und Zeichen an, daß sie Dinge sehe und höre, die sonst niemand wahrnahm. Im achten Lebensjahre wurde sie der frommen Frau Jutta, Oberin des Klosters Disibodenberg, einer Schwester des Grafen Meinhard von Sponheim, zur Erziehung übergeben. Hier lernte sie notdürftig lesen und den Psalter beten und singen, blieb aber sonst aller wissenschaftlichen Bildung fremd. Mit der zunehmenden geistigen Entwicklung mehrten sich die Gesichte, sie redete davon in ihrer Einfalt und Unbefangenheit, aber es fing sie doch an zu wundern, daß Jutta und ihre Nonnen nichts dergleichen erzählten, und daß sie allein doppelt sehen sollte, äußerlich durch Sinne und innerlich in der Seele. Von der geheimen Furcht und Scheu befallen, wagte sie es nicht mehr, von ihren Erscheinungen zu sprechen und nahm sich vor, sie ganz in sich zu verschließen. Und doch konnte sie oft, wenn das innere Licht gar reichlich floß und sie mit Gedanken überströmte, die ihrem Verständnis zu schwer und zu ungewöhnlich waren, dem Drange der Mitteilung besonders prophetischer Visionen nicht widerstehen. Dann aber schämte sie sich ihrer Schwäche und weinte bitterlich. Dieses Wahrnehmen geschah nicht im Schlafe oder Traume, nicht in Ohnmacht oder Verzückung, sondern im wachen Zustand, mit offenen Sinnen und vollkommenem Bewußtsein, nicht insgeheim in verschlossener Zelle, sondern an öffentlicher Stätte und am hellen Tage, und doch nicht mit leiblichen Augen und Ohren, sondern tief in der Seele, auf eine ihr selbst unbegreifliche Weise. Sie weihte sich durch die Gelübde dem klösterlichen Leben nach der Regel des heiligen Benedikt und nahm in allen Tugenden desselben zu an Liebe und Schweigsamkeit, Enthaltung, Demut und Geduld. Da sich die menschliche Natur ohne Leid und Schmerz, ohne das Feuer der Trübsal nicht vollkommen läutern und klären kann, so sandte ihr Gott häufige Krankheiten und fast beständiges Siechtum, so daß sie selten das Bett verlassen konnte.
Nach dem Tode Jutta's, 1136, übernahm sie als Priorin die Führung und Leitung der Schwestern. Um dieselbe Zeit befahl ihr eine Stimme vom Himmel, alles, was sie sähe und hörte, niederzuschreiben. Aber aus Furcht vordem eitlen Gerede und dem vermessenen Urteil der Menschen verharrte sie dennoch im Schweigen, bis sie von schwerer Krankheit heimgesucht und unter immer heftigeren Schmerzen ans Bett gefesselt wurde. Nun entdeckte sie sich ihrem Beichtvater, und dieser forderte sie zum Gehorsam gegen die Stimme auf. Als sie im dreiundvierzigsten Jahre stand, durchfuhr ihr ein feuriges, unbeschreiblich funkelndes Licht vom offenen Himmel Gehirn, Herz und Brust, nicht brennend wie die Flamme, sondern erwärmend wie die Sonne. Von nun an hatte sie das Verständnis und die Auslegung der Schrift, des Psalters, der Evangelien und anderen Bücher des Alten und Neuen Bundes, ohne jedoch die Sprache zu kennen. Sie fing denn an zu schreiben, d. h. sie erzählte ihre Gesichte dem Beichtvater in deutscher Sprache, und dieser übesetzte ihre Rede so genau als möglich ins Lateinische. Was aber sie selbst im Geiste lateinisch vernommen hatte, schrieb sie eigenhändig nach dem Gehöre auf, und er suchte es dann grammatisch richtig zu schreiben. Als ein bedeutender Teil dieser Aufzeichnungen fertig war, machte sie der Abt des Klosters Disibodenberg bekannt und legte sie auch dem Erzbischofe von Mainz und seinem Kapitel vor. Indessen mehrte sich die Zahl der Nonnen des Klosters, so daß der beschränkte Raum sie kaum mehr zu fassen vermochte. Sie dachte also allen Ernstes an eine Übersiedlung in ein neu zu gründendes Kloster. Da wurde Hildegard im Gesichte Rupertsberg bei Bingen gezeigt. Nach Überwindung großer Schwierigkeiten bezog sie das Klsoter noch im Jahre 1147 mit 18 Schwestern, meist Töchter aus edlen und reichen Häusern. Sie hatten aber anfangs einen harten Stand; denn sie mußten nur von Almosen leben und oft bitteren Mangel erdulden. Doch wie die Sonne aus den verhüllenden Wolken hervortritt, so leuchtete ihnen nach kurzer Trübsal wieder Gottes Gnadenangesicht. Es flossen bald reichliche Spenden, selbst solche, die Hildegards Unternehmen mit herbem Tadel verfolgten, kamen herbei und leisteten Hilfe, viele Adelige wählten sich da ihre Grabstätten und machten beträchtliche Stiftungen. So brachte sie teils durch Kauf, teils durch Tausch den nötigen Grund und Boden von den Eigentümern an sich und stellte das Kloster unter den Schutz des Erzbischofs von Mainz. Hier, auf dem Rupertsberge, vollendete sie ihr Hauptwerk, das Buch "S'ci-vias", "Kenne die Wege des Herrn", nach zehnjähriger Arbeit. Es besteht aus drei Teilen und enthält sechsundzwanzig Visionen; sie sind in dem prophetischen Stil des Alten Testamentes und der Apokalypse gehalten, in mystischen, oft phantastischen Bildern und Gegensätzen ausgeführt, die jedoch an Größe und Kraft die biblischen nimmer erreichen. Bald schildert sie die Todsünden, die sich als Bestien gegen den Himmel zum Sturm erheben; bald den Thron "des Alten der Tage", von einem Lichtmeere umflosssen, von einem Regenbogen umgürtet; bald die Kirche als eine Frau, die mit dem am Kreuze hängenden Erlöser vermählt wird, dann hält sie wieder scharf Strafreden gegen den Unglauben und die Verderbnis ihrer Zeit, eindringliche Ermahnungen zur Buße und Besserung, woran sie gewöhnlich prophetische Verheißungen glücklicherer Tage knüpft. Bei allem Feuer des Eifers hält sie sich doch immer in den Schranken der Mäßigung, und bei aller Innigkeit des Gemütes streng in den Grenzen der Rechtgläubigkeit. Sie verrät in allem einen ungemeinen Geist und einen glühenden Sinn für religiöse und sittliche Wahrheit, aber die mystischen Ausdrücke und dunklen Redewendungen machen uns gar vieles unverständlich. Ein Teil dieser Schrift wurde zu Trier im Jahre 1147 vor vielen Bischöfen, dem heiligen Bernhard von Clairvaux und dem Papst Eugen III. verlesen und geprüft. viele Stellen erregten Bewunderung und freudiges Lob; der Papst selbst schrieb an die "Seherin" und ermahnte sie, in der göttlichen Begnadigung demütig zu verharren. Solche Zeugnisse begründeten und verbreiteten den Ruf ihrer Heiligkeit und den Glauben and die Göttlichkeit ihrer Offenbarungen, sie gaben ihr aber auch den Mut, noch mehr zu schreiben, und zwar nicht bloß über Moral und Religion. Hildegard sah die ganze Natur als eine lebendige Offenbarung Gottes, als ein Organ des göttlichen Geistes der Weisheit und der Liebe an; daher die sonst befremdende Erscheinung, daß sich die Prophetin auch viel mit Naturgeschichte beschäftigte. Bei dem damaligen tiefen Stand der physikalischen Wissenschaft und bei dem gänzlichen Mangel an Hilfsmitteln hatte sie hierin bedeutende Kenntnisse. Sie war die erste deutsche Naturforscherin und Ärztin, beschrieb die Gestalt und Natur vieler Kräuter und Pflanzen; sie hatte eine große Vorliebe für Medizin, übte sie wohl auch praktisch und heilte viele Gebrechen. Päpste und Könige sandten ihr Briefe und empfahlen sich ihrem Gebete. Sie antwortete ihnen, strafte sie mit prophetischer Freimütigkeit wegen mannigfacher Versäumnis ihrer Pflichten und mahnte sie im Namen Gottes zur Besserung. Bischöfe, Fürsten, Äbte, Magister, Doktoren und geistliche Korporationen schrieben an sie und legten geistliche und weltliche Angelegenheiten, sogar gelehrte Fragen ihrem Rate und ihrer Entscheidung vor. Die noch vorhandenen Antworten Hildegards zeugen von ihrer oft überraschenden Einsicht und Klugheit. Aus allen Gegenden Frankreichs, Belgiens und Deutschlands zogen Geistliche und Weltliche, Hohe und Niedere, Gesunde und Kranke auf den Rupertsberg, um bei ihr Belehrung, Rat, Trost und Beistand zu suchen. Sie erteilte aus der unversieglichen Quelle ihres inneren Schauen nach allen Seiten hin die erbetene geistliche und leibliche Hilfe, und ihre Worte galten allgemein als göttlicher Ausspruch. Zudem machte sie in den gesunden Zwischenzeiten auch mehrere, zum Teil weite Reisen nach Franken, Schwaben und den Rhein hinab; sie besuchte Klöster und Stifte, verkündete überall vor dem Klerus und dem Volke, was der Geist ihr eingab; sie lehrte und mahnte und wirkte in ihrer außerordentlichen Weise für das Heil der Seele. Von ihren äußeren Lebensumständen in den späteren Jahren ist nichts aufgezeichnet worden, wir wissen nur, daß sie am 14. September 1149 im zweiundachtzigsten Jahre ihres Alters von hinnen schied und mit feierlichem Gepränge bestattet wurde. Bei der Zerstörung des Klosters im Schwedenkriege, 1632, wurden ihre Gebeine über den Rhein in das auch von ihr gestiftete Kloster Eibingen gebracht; hier wurde auch ihr Ring aufbewahrt, in den die Worte eingegraben waren. "Ich leide gerne."

Keine Kommentare: