Als Hauptblickpunkt des Kirchenraums und Mittlerin der Gnaden besonders hervorgehoben, glänzt seit 1790 die Gottesmutterstatue, wie eine Perle in der Muschel, im klassizistischen Aufbau des Hochaltarzentrums. Das Bild der zum Kreis der "Schönen Madonnen" gehörigen Mutter der Birnau gilt bei Verehrern und Experten als "schönstes thronendes Madonnenbild in Oberschwaben". Ihm ist auch das große Deckengemälde über dem Langhaus der Wallfahrtskirche gewidmet. Engel tragen dort das Gnadenbild in den Kirchenraum, um die neue Gnadenstätte damit auszuzeichnen und die Tradition der Altbirnauer Marienverehrung fortzusetzen.
Die etwa ein Meter hohe Madonnenskulptur ist mit dem weich fließenden Fall des Gewandes und den tiefen Schüsselfalten zwischen den Füßen ein Werk der Gotik um 1430. Nach den Forschungen von Jürgen Michler kann es mit Arbeiten der Bildhauerkunst der Stadt Ulm a. D. während der Jahre 1420/36 verglichen werden. Vor allem handwerklich dekorative Steinskulpturen der Ulmer Münsterfassade und verwandte Arbeiten am Überlinger Münster lassen sowohl in der dekorativen Manier als auch in der grazilen Linienschönheit die stilistischen Beziehungen zwischen dem Birnauer Gnadenbild und der Ulmer Schule, besonders zum "Meister des Dornstädter Altars", erkennen. Zumal eine schriftliche Quelle um 1430 einen "maister von Ulm" für Arbeiten in Überlingen bezeugt, fällt die stilistisch abzuleitende Einordnung in die kunstgeschichtlichen Zusammenhänge nicht schwer. Unklar ist jedoch geblieben, warum um 1430 ein neues Bild der thronenden Gottesmutter für Alt-Birnau geschnitzt wurde. Was war mit dem ursprünglichen Gnadenbild geschehen? Es fällt auf, dass das im "weichen Stil" gehaltene Gnadenbild zwar gotisch geprägt, aber wohl in Anlehnung an das Vorbild einer romanischen, sitzenden Madonna geschaffen wurde. Es liegt nahe, an das vorhergehende Birnauer Bild zu denken. Darüber hinaus scheinen auch typologische Merkmale des früheren, oft nachgeahmten Einsiedler Gnadenbildes durch die gotische Nachbildung der Birnau durch. Neu war am Bodensee für die Madonnenbilder im 1. Drittel des 15. Jhs. die Verwendung des Mondsichelmotivs am Sockel der Marienskulpturen (vgl. Marienbild von Eriskirch, 1410). Dieses Halbmondbild mit eingeschmiegtem Antlitz der apokalyptischen Frau muss in Beziehung zum ursprünglichen, heute fehlenden Strahlenkranz hinter der Sitzfigur gesehen werden (vgl. Gnadenbilddarstellung von Christoph Lienhard, 1708). Am Sonnenglanz (Licht und Wärme Gottes) und Mond erkennen wir in Maria jene Frau der Geheimen Offenbaung, die im Heilsplan Gottes von Ewigkeit her als Mutter des Erlösers und Gnadenmittlerin existierte (Apok. 12, 1-5). Sonne und Halbmond waren im Mittelalter gern gebrauchte, aus der Antike übernommene Königssymbole Christi, die in der Barockzeit aber auch auf Maria bezogen wurden, weil der Mond sein Licht von der Sonne erhalte.
Das Alt-Birnauer Gnadenbild wurde 1746 mit einem Täuschungsmanöver in die Abtei Salem entführt und 1750 in das neue Heiligtum am Bodensee übertragen. "Unsere liebe Frau" hält würdevoll ihren Sohn, das fleischgewordene Wort, auf dem Schoß. Sie stellt ihr Kind zum Heil der Welt vor. Um 1900 ergänzten die Überlinger Restauratoren Gebr. Mezger die verlorenen Hände und Attribute von Mutter und Kind und trugen eine neue Farbfassung auf. So sind die Gestik, der angebissene Apfel als Anspielung auf die Erbsünde und das Kreuzchen des Jesuskindes am Anfang des 20. Jhs. nach alten Vorlagen beigefügte Sinnbilder des durch Christus wiederhergestllten Heils.
Maria, der Stern des Meeres
"Ihr Menschen, die ihr erkennt, dass ihr im Strom des irdischen Lebens mehr zwischen Stürmen und Unwettern schwankt als auf festem Boden wandelt, wendet eure Augen nicht ab von dem Glanz dieses Gestirns, wenn ihr von den Stürmen nicht überwältigt werden wollt! Wenn die Winde der Versuchungen sich erheben, wenn du in die Klippen der Trübsale gerätst, dann blick hin auf den Stern, ruf Maria an! Wenn du getrieben wirst auf den Wellen des Stolzes, auf den Wellen des Ehrgeizes, der Schmähungen, der Eifersucht, richte den Blick auf jenen Stern, ruf Maria an! Wenn Zorn, Habgier oder die Verlockungen des Fleisches dein Lebensschiff von seiner Bahn abbringen wollen, schau auf Maria! In Gefahren, in Ängsten, in bedenklichen Lagen, denk an Maria, ruf Maria an!"
(Aus einer Predigt des hl. Bernhard von Clairvaux)
Aus: Hermann Brommer: Die Birnau - Gnadenstätte am Bodensee. Herausgeber Editions du Signe, B.P. 94, F-67038 Strasbourg Cedex 2, ISBN 2-87718-756-X.
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